Smartphones im Unterricht nutzen statt verbieten!

Children taking selfie

Leider hat das französische Parlament beschlossen, Smartphones, Tablets und Smartwatches in Schulen zu verbieten. Jugendliche unter 15 Jahren dürfen ihre persönlichen Endgeräte nicht (mehr) in die Schule mitnehmen. Ich bin Lehrerin und finde diese Entscheidung schlichtweg falsch. Als Hauptargument wird angeführt, dass die Jugendlichen nicht mehr abgelenkt seien und dass sie sich besser konzentrieren können, und dass ein Verbot gegen Mobbingfälle helfen würde.

Laut spiegel.de gibt es Ausnahmen für die Verwendung der Geräte im Unterricht, sowie für Kinder mit Behinderung. Nina Toller und andere Medienpädagoginnen haben schon über das Thema gebloggt. Es wird in Social Media heftig darüber diskutiert. Aus diesem Anlass, melde ich mich mit einer persönlichen Stellungnahme, die hoffentlich zeigen wird, wie der gezielte Einsatz von Smartphones und Tablets lernerfolgsorientiert gelingen kann und warum es sich lohnt, Smartphones in Schulen zuzulassen.

Zu wenig Vertrauen?

Seien wir ehrlich, was sagt das Parlament eines Landes, wenn es ein Verbot von Handys und Tablets beschließt, damit Kinder und Jugendlichen im Unterricht nicht mehr abgelenkt sind. Haben diese Personen schon unterrichtet? Meine persönliche Erfahrung – und ich bin nicht alleine – zeigt, dass eine Lerngruppe grundsätzlich erwartet, von einer Lehrperson geführt zu werden. Es heißt beispielsweise, „jetzt malen wir“ oder „schlagen wir jetzt das Buch auf“ oder „jetzt wird diese Aufgabe in der Gruppe erarbeitet“. Schülerinnen und Schüler wissen, dass sie die jeweiligen Lernutensilien rausnehmen die sie benötigen. Ich erkläre beispielsweise, „im Unterricht sind Smartphones gerne als Lernwerkzeuge gesehen, bitte nimm das Smartphone jetzt raus, denn wir werden jetzt Audioaufnahmen machen …“, „jetzt brauchen wir die Smartphones nicht mehr, bitte wegräumen.“ 

Wenn ein Land ein Handyverbot per Gesetz vorschreibt, heißt das so viel wie: „Wir vertrauen unseren Lehrerinnen und Lehrer nicht, dass sie ihre eigenen Klassen im Griff haben.“ Außerdem sagt das Land, „Wir trauen es Kindern und Jugendlichen nicht zu, dass sie lernen, mit ihren Lernsachen im Unterricht umzugehen und Lernprozesse zu organisieren.“

Paradigmenwechsel verpasst!

Wenn man sich ein traditionelles Klassenzimmer vorstellt, dann mögen mobile Endgeräte durchaus wie Fremdlinge oder Eindringlinge wirken. Aber wir leben nicht mehr in 1950, 1960  oder 1990. Es ist 2018. Wir leben längst in einer digitalisierten Gesellschaft, in der Menschen (inkl. Kindern und Jugendlichen) das Internet dazu nutzen um zu arbeiten, sich zu unterhalten, einzukaufen und mit anderen in Kontakt zu treten. Und zu lernen.

In innovativen Schulen wird längst nicht mehr lehrerzentriert unterrichtet, wo eine Lerngruppe eine Unterrichtsstunde lang zuhört und einzelne Fragen im Plenum beantwortet. Die Schülerinnen und Schüler stehen im Zentrum. Die Lehrperson ist Coach, begleitet das Lernen und stellt Aufgaben auf, damit die Kinder und Jugendlichen selbst durch Entdecken oder im Projekt (lernen) oder eigenständig im Lernbüro lernen. Manche wenden die Flipped-Classroom-Methode an, wo sich die Lerngruppe individuell Lehrinhalte größtenteils durch Videos ansieht und in der Klasse übt.

Viele Lehrende stellen Aufgaben auf, bei denen Kinder und Jugendlichen Erklärvideos, E-Books oder Infografiken erstellen. Lehrpersonen für naturwissenschaftliche Fächer nutzen Smartphones und Tablets, um Beobachtungen und Messungen in der Natur zu dokumentieren und anschließend in einer multimedialen Präsentation zu visualisieren. Im Turnunterricht nutzen andere die Kamerafunktion, um Bewegungsabläufen und Algorithmen aufzunehmen. Es werden E-Portfolios, E-Books, Stop-Motion-Videos u.v.m. im Unterricht erstellt.

Wenn ein Land ein Handyverbot per Gesetz vorschreibt, dann verpassen Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, Lernprozesse durch mobile Endgeräte zu unterstützen und das Lernen selbst zu steuern, kreativ und produzierend Medieninhalte zu gestalten und durch das Internet sich mit anderen Menschen zu verbinden oder Lernplattformen zu nutzen.  Außerdem können Lehrende, die mit mobilen Endgeräten im Unterricht arbeiten wollen, dies nicht mehr tun. Dann würde die Methodenfreiheit und Methodenvielfalt darunter leiden. 

Mobbingfälle verhindern – wie?

Was sagen Expertinnen und Experten? Wie können Mobbing und Cybermobbing am besten bekämpft werden? Das Thema Cybermobbing wird beispielsweise auf saferinternet.at ausführlich behandelt. Hier wird dazu geraten, Handys aus der Schule zu halten? Ganz im Gegenteil. Folgende Punkte sind zu lesen …

  • Schüler/innen in ihrem Selbstbewusstsein stärken
  • Wertschätzender Umgang
  • Gutes Verhältnis zwischen Lehrpersonen und Lernenden schaffen
  • Verhaltensvereinbarungen und Hausordnung erstellen
  • Briefkasten einrichten und betreuen
  • Peer-Modelle einführen

Quelle: https://www.saferinternet.at/faq/wie-kann-die-schule-gegen-cyber-mobbing-vorbeugen/

Weitere Tipps:
Wie ein Handy- und Internet-Policy aussehen kann
Handy in der Schule: Mit Chancen und Risiken kompetent umgehen
Handynutzung in der Schule regeln
Smartphones & Kinder/Jugendliche

Wenn ein Land ein Handyverbot per Gesetz vorschreibt, dann verschwinden Mobbingfälle nicht automatisch, da die Ursache nicht am Gerät selbst liegt, sondern oft an fehlende Kommunikationsstrukturen oder an sozialen Situationen. Mit einem Handyverbot könnte die Institution Schule ihrem Bildungsauftrag Medienkompetenz, sowie Sozialen Kompetenzen zu fördern, nicht nachkommen können. 

Wie können digitalen Kompetenzen durch den Einsatz von Handys gefördert werden?

Folgende Auffassung wurde auf Facebook gepostet: „Digitale Kompetenzen durch Gebrauch von Handys fördern? Wie soll das gehen? Das ist nicht notwendig!“

Ich bin ganz anderer Meinung. Ich bin Lehrerin und nutze mobile Endgeräte im Englisch- und Informatik-Unterricht seit Jahren. Wie viele andere, möchte meine Lerngruppe den Einsatz von Handys und Tablets nicht mehr verpassen. Was habe ich alles gemacht?

Meine Lerngruppen nutzen ihre Smartphones und Tablets, um zu kommunizieren, sich zu organisieren, Inhalte zu produzieren und zu lernen. Am Anfang des Schuljahres bekam eine Klasse beispielsweise ein Blatt mit QR-Codes, auf dem sie die Lernressourcen und Plattform für das Jahr finden.

Wir kommunizierten mit Remind App, nutzten Quizlet für Vokabel und Google Classroom für die Aufgabenverteilung und Absammlung. Wir machten ein Schnitzeljagd mit QR-Codes und learningapps.org. Die Kinder schauten meine Lernvideos auf youtube.com an. Sie erstellten Mindmaps und Wordclouds mit mindester oder wordle.net. Auch erstellten sie Poster und Postkarten mithilfe von canva.com. Wir nutzten Skype, um mit anderen Klassen weltweit zu kommunizieren. Wir machten Lernzielkontrollen mit Plickers oder Kahoot.com. Sie erstellten ihre eigenen Geschichten mit LegetechnikClips, Stop-Motion oder Green-Screen. Sie erstellten Foto-Storys mit der Kamera und veröffentlichten Blog-Postings am Klassenblog. Sie lernten zu fotografieren und erstellten Präsentationen mit Keynote, Powtoon oder Adobe Spark. Wir lernten mit Ozobots und CoSpaces.io zu programmieren und sammelten die Werke mit Padlet.com. Wenn die Lerngruppen bei der Arbeit sind, sind sie stark fokussiert und konzentriert. Oft wollen sie nicht mehr aufhören.

Ein Schüler schreibt eine eigene Geschichte für ein E-Book.
Im Team lernen. 
Marina, Patricia und Vanessa haben mit Swift Playgrounds programmiert.

Das sind nur ein paar Sachen, die wir gemacht haben. Im kommenden Schuljahr werden wir noch verstärkter mit mobilen Endgeräten arbeiten, da die Kompetenzen für das Fach „Digitale Grundbildung“ gefördert werden. Hier wird ein starker Fokus auf die Kommunikation, Reflexion und Kreativität gelegt. Kinder und Jugendlichen sollten u. a. Werke produzieren, im Internet sicher agieren können, und Visual- und Digital Literacy vorweisen können.

Bei uns im Unterricht, werden wir sicher mit Augmented/Virtual Reality arbeiten, Aufnahmen und Videos, sowie E-Portfolios und E-Books machen. Hier ist das Ziel, die Kinder und Jugendlichen im Zentrum zu behalten. Damit sie Autorinnen und Autoren werden, damit sie gestalten und produzieren, damit sie medienkompetent werden.

Wenn ein Land ein Handyverbot per Gesetz vorschreibt, verpassen viele Lehrpersonen die Möglichkeit, Lehren und Lernen durch den Einsatz von mobiler Lerntechnologie zu unterstützen. Diese Lehrpersonen werden es nicht erleben, wie introvertierte Schülerinnen und Schüler aktiver im Unterricht werden, und stolz herzeigen was sie gemacht haben. Sie werden es nicht erleben, diverse und kreative Werke der Kinder entgegen zu nehmen. Sie werden es nicht erleben, wie die Lerntechnologie das Lernen erleichtert und bereichert und neue, innovative Wege in die Schule bringt. 

Die Bereiche der Digitalen Grundbildung

Ich bin froh, dass in Österreich derzeit nicht ernsthaft darüber gesprochen wird, Handys und Tablets in der Schule zu verbieten. Wenn dies erfolgen würde, würde die Kluft zwischen Schule und der realen Welt noch größer werden. Wir würden Lehrpersonen nicht darin einschulen können, sinnvoll und gezielt mit Handys oder Tablets im Unterricht umzugehen. Wir würden Kinder und Jugendliche zwingen, die Nutzung ihrer Geräte außerhalb der Schule gänzlich zu verlagern, wo sie sich sicherlich noch mehr mit ihnen beschäftigen. Und wir würden es verpassen, dass Kinder und Jugendliche sicher und kompetente lernen, diese Geräte als mächtige Lernwerkzeuge zu kennen. 

Wenn Bildung unsere Pflicht ist, dann machen wir das doch. Kommen wir dieser Verpflichtung nach, anstatt Köpfe in den Sand zu verstecken und zu warten, bis die Smartphone- und Internetwelle über uns ergeht. Sie wird es nicht. Warum soll die Schule der einzige Bereich sein, in dem das Internet nicht gewinnbringend existieren kann? Mobile Internetnutzung hat seit Jahren Desktopinternetnutzung überholt. Teenager machen mittlerweile keine Trennung zwischen der realen und virtuellen Welt. Ihre Handys sind ein Teil ihres Lebens.   Bringen wir ihre Lebenswelt in die Schule hinein und erziehen wir mündige Bürgerinnern und Bürger auch in digitalen Belangen!