Fortbildungen für Lehrende: Ein Dilemma ohne leichte Lösung

Ich bin für Twitter sehr dankbar. Wie viele, die diese Plattform privat sowie beruflich nutzen, habe ich unzählige Male von den Impulsen der anderen profitiert. Schließlich stehe ich an der „Front“ – als Unterrichtende und Fortbildende – und möchte meine Praxis stets optimieren und Herausforderungen erfolgreich überwinden. Auf Twitter wird öffentlich über wichtige Bildungsthemen (manchmal heftig) diskutiert und reflektiert. Wir lernen voneinander und miteinander und gestalten den Bildungsdiskurs aktiv mit. Viele von uns geben unsere Expertise zu diversen Themen in Fortbildungen weiter.

In Österreich hat die Einführung einer Verbindlichen Übung „Digitale Grundbildung“ in der Sekundarstufe 1 (seit 2018) dazu geführt, dass betroffene Lehrpersonen sich mit dem Unterricht mit und über digitalen Medien, Lerntechnologie und Internet auseinandersetzen müssen. Auch die strukturelle Änderungen im Schulsystem wie z. B. die Einführung von Dienst-E-Mailadressen für Bundesschulen oder die verpflichtende Einbindung von Medien bei Prüfungen führen dazu, dass Kolleginnen und Kollegen den Umgang mit diesen Dingen erlernen müssen.

Somit wird von allen Lehrpersonen einen kompetenten Umgang mit Medien, Internet und diversen Software und Online-Schuldiensten im Alltag verlangt. Wenn wir Medienkompetenzen und Medienbildung fächerübergreifend vermitteln sollten, dann sollten wir alle medienkompetent sein.

Es wird viel Zeit und Energie in Fortbildungen investiert. Die Pädagogischen Hochschulen haben ein sehr gutes und vielfältiges Angebot an Seminaren und Workshops, welche gut besucht werden. Dennoch setzen viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Gelernte nur manchmal bis gar nicht um. Philippe Wampfler hat das Problem sehr treffend in einem Blogposting vom 07.10.2019 beschrieben.

Blogpost Philipp Wampfler
Quelle: https://schulesocialmedia.com/2019/10/07/das-transfer-problem-in-der-weiterbildung-von-lehrkraeften/

Genau das ist es. Aber warum ist es so? Warum gibt es soviel „Digitalmuffel“ unter den Lehrpersonen? Warum fühlen sich viele von den Neuen Medien überfordert? Warum sind technologie-gestützte Unterrichtssettings die Ausnahme und nicht die Regel? Aus meiner Sicht, gibt es folgende Dinge zu bedenken. Ich werde besonders den Kontrast zwischen Schule und Wirtschaft skizzieren.

Es gibt keine systematisch verpflichtende Fortbildungen

Wenn jemand eine Stelle in einem Unternehmen bekommt, wird er/sie mit den informatischen Systemen des Unternehmens vertraut gemacht. Falls nötig holt diese Person beispielsweise zwei Wochen lang in einem Intensivkurs seine mangelnde Kenntnisse nach. So ist es mir ergangen, als ich bei Mars einst anfing. Ich kannte PowerPoint zuvor gar nicht; musste es für meine Arbeit nutzen, daher hat die Firma für ein Privattrainer nach Diensteintritt gesorgt. Ich brauchte das, um meine Arbeit gut machen zu können, und wurde von anderen Tätigkeiten befreit. In der Schule gibt es in der Regel keine Zeit, jemand für zwei Wochen vom Unterricht zu befreien.

Professionalisierung ist an sich ein fixer Teil des Berufs, aber in der Praxis sind wenige von der Schulleitung explizit verordnet. Wer das schon ausprobiert hat, wird höchstwahrscheinlich mit massivem Widerstand (aktiv oder passiv) begegnet worden sein. Auch muss angemerkt sein, dass Fortbildung häufig in der „Freizeit“ (nach dem Unterricht) gemacht wird. In Firmen wird während der Arbeitszeit geschult. Das wäre für ein Schulbetrieb nicht leicht zu organisieren und in manchen Schultypen sogar verboten. Klar – Lehrpersonen sind mit der Vor- und Nachbereitung zuhause am Abend und am Wochenende beschäftigt. Daher sobald sie in einem Kurs am Nachmittag sitzen, denken sie an den Korrekturen, die sie machen wollen, an ihrer To-Do-Listen die sie abarbeiten müssen oder an den Dingen, die sie mit der Familie unternehmen wollen. Verständlich. Wie hoch ist die Motivation und Konzentration bei einer Weiterbildung während der Freizeit?

Es gibt schlechte bis gar keine technische Ausstattung an Schulen

Magst du eine Firma gründen? Dann müssen Software, Hardware, Internetverbindung, immer öfter Webseite und Social-Media-Präsenz her. Sonst ist die Firma nicht wettbewerbsfähig. Viele Schulerhalter und Verantwortliche haben es bisher für nicht nötig gehalten, Schulen technisch aufzurüsten 1. weil es viel Geld kostet 2. weil es kein „Muss“ war. Es geht/ging so auch. Daher wenn Teilnehmerinnen und Teilnehmer von den Möglichkeiten vom Unterricht mit Tablets in einem Seminar erfahren und nicht mal Internet an der Schule haben, dann können sie schwer das umsetzen was sie lernen.

Schule und Wirtschaft unterscheiden sich auch in einem anderen Punkt. In einer Firma bekommst du die Tools die du brauchst, um deine Arbeit zu erledigen. Bei Mars hieß das, dass ich ein Arbeits-Laptop bekommen habe; viele im Management bekommen ein Diensthandy. Bei ganz wenigen Schulen ist das der Fall, dass Arbeitsgeräte ausgehändigt werden. Im Gegenteil, es wird im schulischen Bereich „erwartet“, dass die eigene Geräte mitgebracht werden. Viele Lehrer kaufen sie sich keine „guten“ Geräte, sondern das was günstig war – langsam, unhandlich, schwer selbst Probleme zu beheben. Wenn eine Firma auch so arbeiten würde, dann würde sie nicht lange bestehen.

Es gibt keine Konsequenzen wenn Neues nicht umgesetzt werden soll

Zurück an den Schulstandort nach dem Seminar gibt es an Schulen kein Follow-up, keine Zielvereinbarungen und keine Berichterstattung. Lehrende haben Methodenfreiheit, eine pädagogische Freiheit, den Unterricht nach bestem Wissen und Gewissen zu gestalten. Nach dem Seminar machen sie genau das. Ohne viel auszuprobieren. Sie replizieren, das was sie schon immer gemacht haben, oder das wie sie selbst gelernt haben.

Natürlich sind viele Schulleiterinnen und Schulleiter bemüht, die Qualität der pädagogischen Praxis zu verbessern. Allerdings sieht das System Schule nicht vor, dass neue Kenntnisse systematisch und konsequent umgesetzt werden. In einer Firma hingegen wird erwartet, dass die Mitarbeiter das umsetzen was sie lernen. Es gibt Zielvereinbarungsgespräche und Line Manager und Kontrollmechanismen, die die Entwicklung der Mitarbeiter tracken. Ansonsten finden Arbeitgeber andere Lösungen und womöglich anderes Personal. In der Schule kommt es selten vor, dass jemand entlassen wird. Viele sind pragmatisiert. Wenige verlassen den Beruf. In der Wirtschaft ist es durchaus möglich, dass jemand entlassen wird. Wenn jemand nicht performt, gibt es Konsequenzen.

Es gibt nicht die e i n e Schule

Unternehmen formulieren Visionen und erstellen Strukturen, um den Erfolg zu fördern. In der Schule gibt es nicht die e i n e homogene Schule. Statt dessen gibt es zigtausende Schulen – und jede Schule ist ein eigenes Mikrokosmos. Schulen entwicklen ihre eigene Kulturen, Visionen und Strukturen. Die Autonomie ist fest in der Bildungsphilosophie eines Landes wie Österreich verankert und birgt sowohl Vor- als auch Nachteile. Was es für die Medienkompetenz der Unterrichtenden bedeutet? Es gibt keine einheitliche, verbindliche Mindestkompetenzen. Es kann nicht landesweit erhoben werden, wie viele Lehrpersonen z. B. Tabellenkalkulation oder Präsentationstechniken beherrschen. Es kann übrigens auch nicht davon ausgegangen, dass Berufseinsteiger affiner sind als ihre Kolleginnen und Kollegen.

Und so kommen wir zum IST-Stand. Der Status Quo ist das ist unter den über 120 000 Lehrpersonen in Österreich, dass es viele gibt, die mit E-Mail nicht umgehen können, die nicht wissen wie sie Bilder im Netz finden, die nicht urheberrechtlich bedenkenlos sind, die nicht wissen was Browsertab ist, was Seite aktualisieren im Internetbrowser bedeutet, die nicht wissen was Drag-und-Drop ist, die nicht erkennen, wenn eine Datei bereits heruntergeladen wurde, die keine Updates machen und keine Passwörter aufschreiben, … ich könnte endlos fortsetzen. Diese sind die Dinge ich persönlich in den letzten zwei Wochen in Seminaren erlebt habe. Was tun?

Lösungsansätze

Die Ansätze von Philippe Wampfler sind spannend. Lehrende gezielt zu überfordern und keine Skripte auszuhändigen sind Dinge, die unsere Kolleginnen und Kollegen nicht gewöhnt sind. Ich finde die Idee einer Überforderung super. Zu zeigen, dass es gewinnbringend ist, sich aus der Komfortzone zu bewegen, macht endlich klar, dass sich etwas tun muss.

Mein persönlicher Ansatz derzeit lehnt sich an den Prinzipien des Design Thinking, d. h. genaue „Kundenprofile“ zu definieren, Prototypen zu entwicklen und diese unterschiedliche Profile zu bedienen. Das bedeutet, dass ich in Zusammenarbeit mit meiner Schulleitung Kompetenzgruppen im Kollegium wie folgt definiere:

Kategorien der Medienkompetenzen im Kollegium – eigene Definitionen

In der Folge wollen wir maßgeschneiderte Angebote anbieten, um jede Gruppe zu fördern. Einige Ideen haben wir hier in dieser Infografik besprochen. Diese Erarbeitung hatte ich bei einer anderen Gelegenheit ausgearbeitet.

Verschiedene Maßnahmen zur Förderungen von Medienkompetenzen an meiner Stammschule (englischsprachig)

Wir möchten gezielt Fortbildungen anbieten, ein Belohnsystem entwickeln und Gelegenheiten schaffen, Dinge zu demonstrieren. Das Ganze ist ein Versuch, die Medienkompetenzen im Kollegium nachhaltig zu verbessern. Wir agieren nach dem Prinzip eines Hackers – wir entwickeln, wir testen, wir optimieren.

Und nein. Schule funktioniert nicht wie die Wirtschaft. Es ist logistisch nicht möglich, Lehrpersonen dazu zu verpflichten, sich Medienkompetenzen in ihrer Arbeitszeit anzueignen oder ihre bestehende Kenntnisse und Fähigkeiten zu verbessern. Vieles wurde bereits ohne Erfolg ausprobiert. Wir müssen neue Wege gehen, wenn wir dieses Problem der Wissenslücken und Kompetenzmängel im Lehrerkollegium erfolgreich lösen wollen.

Weiterlesen

Monitor Digitale Bildung Die Schulen im Digitalen Zeitalter. Bertelsmann-Stiftung (pdf)

Hacking Education. 10 quick fixes for every school (Amazon Link)

Philippe Wampfler. Das Transfer-Problem in der Weiterbildung von Lehrkräften. (Blogartikel vom 07.10.2019)

Philippe Wampfler. Lehrpersonen überfordern – ein Vorschlag für Workshops. (Blogartikel vom 04.10.2019)